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Damit Wachstum nicht zur Bedrohung wird.
Unzählige Unternehmen verfolgen eine klare Wachstumsstrategie und dennoch sollen nach dem Wirtschaftsprofessor Larry E. Greiner in den meisten Fällen alle Wachstumsperioden in einer Führungskrise enden. Was dahinter steckt und was wir über uns selbst wissen sollten, um als Unternehmer*In möglichst erfolgreiches Wachstum zu meistern, wird in diesem Beitrag am Beispiel erläutert.

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Der Autor des vorliegenden Beitrags entschuldigt sich bei den Lesern dafür, dass hier kein positives Musterbeispiel ausgewählt wurde. Ich bin davon überzeugt, dass die Bedeutung und Praxisrelevanz an diesem durchaus repräsentativen Beispiel eingängiger und nachhaltiger zu vermitteln ist. Hinzu kommt der Umstand, dass bei einem Beispiel, bei welchem bestimmte Entwicklungen durch pro-aktive Unternehmensführung vermieden oder stark gedämpft werden, einige der Verläufe nicht mehr auftreten und folglich hier nicht im Kontext zu erklären wären.

In zahlreichen Veröffentlichungen wird auf die unterschiedlichen Phasen des Wachstums eines Unternehmens eingegangen. Im Prinzip ist es irrelevant, in wie viele Schritte man diesen Zyklus unterteilt. Wichtig ist, jede dieser Phasen hat ihre eigenen Ausprägungen. Und da wir Menschen uns in unseren genetischen Grundeigenschaften so ähneln, gibt es offensichtlich eine auffallend große Schnittmenge immer wieder ähnlich ablaufender Verhaltensmuster im Unternehmertum. Hinzu kommen bestimmte Zwänge, die sich in den einzelnen Phasen fast naturgemäß einstellen. Im nachfolgenden Beitrag wird versucht, diese Phasen und einige der gängigsten Effekte ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit oder wissenschaftliche Exzellenz an einem Praxisbeispiel zu beschreiben und zu verdeutlich.

Gründung – Start-Up

Frau E. ist promovierte Spezialistin in einem erklärungsbedürftigen Technologieumfeld. Sie hat eine innovative Geschäftsidee. Sie ist hoch motiviert und absolut davon überzeugt, ein nachhaltig wettbewerbsfähiges Produkt anbieten zu können. Sie hat ein überzeugendes Konzept, bekommt eine Finanzierung und kann unter ihren ehemaligen Kommilitonen zwei Mitstreiter akquirieren – das Gründerteam steht. Das Team beginnt mit seinem Start-Up. Jeder der drei kennt die Geschäftsidee auswendig und glaubt fest an den Erfolg. Das kleine Team ist in dieser Phase die tragende Säule und Frau E. die wichtigste Mitarbeiterin. Sie sind also Entwicklung, Vertrieb, Fertigung, Logistik, Administration etc. in Personalunion.

Mit dieser guten Ausgangsbasis und einem kleinen, aber funktionierenden Netzwerk an Kontakten läuft das Geschäft rasch an. Das kleine Team überzeugt persönlich und mit viel Zeitaufwand jeden seiner Kunden. Mit einigen kleineren Rückschlägen läuft das Geschäft mit seinen ersten Aufträgen und entwickelt sich stetig weiter. Das Team arbeitet rund um die Uhr im Start-Up und schließlich wird das hohe Engagement auch vom Markt honoriert und die Nachfrage steigt euphorisierend an.

Auf dem Höhepunkt dieser Phase kann das junge Unternehmen belastbare Kundenbeziehungen vorweisen und hat bereits zahlreiches positives Marktfeedback erhalten. Die in dieser Phase gegenüber dem Kunden versprochene Qualität wird erreicht und die persönlichen Geschäftsbeziehungen sind ausgereift. Für den Eintritt in die folgenden Phasen gilt es in der Regel noch, den steigenden Finanzierungsbedarf abzusichern.

Das junge Team feiert seine Erfolge und motiviert sich gegenseitig zu weiteren persönlichen Höchstleistungen. Der Umsatz steigt erstmals und es wird klar, dass zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden müssen. Diese sind im ursprünglichen Businessplan auch vorgesehen. Jetzt ist der Bedarf aber unerwartet größer und die gewünschten Kandidatenprofile nicht gerade preiswert verfügbar. Das Unternehmen macht bezüglich der Anforderungen Abstriche und stellt einige Personen zu insgesamt noch recht günstigen Konditionen ein. Die neuen Mitarbeiter*Innen werden persönlich eingearbeitet und in das kleine und gut überschaubare Team integriert. Auch jetzt kennen alle Beschäftigten immer noch fast alle Vorgänge und Abläufe des Unternehmens. Die eigene Rolle und Bedeutung sowie die der anderen sind transparent und bestens bekannt. Die Motivation ist unverändert hoch und das Team freut sich über jeden neuen Auftrag. Erfolge und Misserfolge werden gemeinsam offen geteilt. Es werden die ersten Erträge erwirtschaftet und der Businessplan funktioniert. Frau E. ist zu Recht sehr stolz und fühlt sich mit ihrem Ansatz rundum bestätigt.

Reife – Wachstum I

Es sind nun bereits die Anlaufmonate nach der Gründung vergangen und das Unternehmen befindet sich nach eigenem Ermessen mitten in der Wachstumsphase. Bisher hat sich weder Frau E. noch ihr Gründerteam intensiv bzw. planerisch mit strukturellen oder organisatorischen Themen befasst, wie sie es zum Beispiel aus „älteren“ Unternehmen bei ihren Kunden gehört oder beobachtet haben. Auf der Basis des bisher gut funktionierenden Rahmens werden nun weitere Mitarbeiter eingestellt. Es kommt allerdings erstmals Besetzungsdruck dazu, da eine deutliche Zunahme des Bedarfs an helfenden Händen zu verzeichnen ist.

Die angestiegene Mitarbeiteranzahl führt zu ersten Unebenheiten im Betriebsablauf. Die Kommunikationswege werden komplexer und die bisher gelebten Informationsflüsse sind immer wieder gestört. Die Unternehmensführung intensiviert die Kommunikation und führt regelmäßige Meetings und Events mit allen Mitarbeitern ein. Keine der im Unternehmen tätigen Personen verfügt über eine ausreichende Kapazität für klassische Führungsarbeit. Dieses Defizit wird allerdings gut durch eine ausgesprochen familiäre und kommunikative Zusammenarbeit ausgeglichen. Das funktioniert am Ende der Woche immer gut und es dominieren die Euphorie und Motivation. Daraus resultiert jetzt ein nachvollziehbarerweise gesteigertes Selbstbewusstsein. Die Unternehmensführung wird mutiger, traut ihrer kleinen Organisation viel mehr zu und geht nun auch selbstsicherer in Einstellungsverfahren neuer Mitarbeiter. Die Organisation braucht personelle Ressourcen und so gehen hin und wieder die Quantität und der Preis vor Qualität. Damit nimmt das Unternehmen bewusst oder unbewusst die Reduktion der stellenbezogenen Performance und Belastbarkeit in Kauf. Über den Unterschied zwischen einer ausreichend qualifizierten helfenden Hand und einem erfahrenen und gut qualifizierten Mitarbeiterprofil mit echtem Bereicherungsfaktor für das Unternehmen wird zu diesem Zeitpunkt nicht konsequent genug nachgedacht – man kann sich ja immer alles irgendwie „aneignen“ und außerdem muss auf die Kosten geachtet werden.

Längst ist der Punkt überschritten, an dem das Gründerteam alles selbst machen kann. Dem Rest der Belegschaft mangelt es aber an der vergleichbaren Erfahrung und Expertise. Damit verliert das Unternehmen erstmals an Gesamtkompetenz bei wichtigen Tätigkeiten. Erste Mängel und Fehler treten auf, die sich teilweise bis zum Kunden durchschlagen. Die weiter gestiegene Mitarbeiteranzahl und Komplexität der Prozesse verlangen nach einer bisher so nicht praktizierten Strukturierung und Führung. Wie sich herausstellt ist die jetzt notwendige Form der Führungsarbeit aber nicht unbedingt die Stärke von Frau E. und auch der Rest des Gründerteams muss sich erst damit anfreunden.

Es dominiert der Handlungsdruck für das Gründerteam gegenüber den Kunden und bei der täglichen Koordination von Projekten sowie Störungen. Das Gründerteam reagiert darauf mit dem bisher gelebten Aktionismus. Während der turbulenten und aufregenden Anfangszeit wurde der Bedarf nach einem geeigneten Reporting mit den einschlägigsten Kennzahlen immer wieder hinter wichtigen Aufträgen oder Vorgängen angestellt. Im Management dominiert das Bauchgefühl als der beste Gradmesser für die Performance des Unternehmens.

Wachstum II

Während der letzten Monate haben die Kundenaufträge nochmals kräftig zugelegt. Es gibt immer noch jede Woche neue größere Vertriebserfolge zu feiern und es besteht aktuell kein Zweifel an einem positiven Betriebsergebnis. Doch die zunehmende Unternehmensgröße schwächt die Treffsicherheit des bisher noch gut funktionierenden Bauchgefühls, welches sich immer wieder von den realen Zahlen entfernt. Davor warnt im Moment noch niemand, weil im Finanzwesen bisher an einem zeitgemäßen Controlling zugunsten einer zusätzlichen Entwicklerstelle gespart wurde. Auch aus dem Gründerteam werden die Anforderungen an ein qualifiziertes Reporting nicht höher, weil keiner der Akteure dieses Instrument in früheren Jobs intensiv kennen- und vor allem schätzen gelernt hat. Außerdem wurde im Finanzteam bisher auf die Einstellung einer erfahrenen Managementressource verzichtet, da die Zusammenarbeit zwischen der Buchhaltung und dem Steuerbüro gut funktioniert und auch die Funktionalitäten eines klassischen ERP-Systems geschickt mit günstigeren Boardmitteln abgebildet werden konnten.

Growth management

Wachstum III – Überhitzung

Der Umsatz und die Mitarbeiterzahl des Unternehmens von Frau E. wachsen stetig weiter. Es ist nicht mehr vergleichbar mit dem Start-Up in den ersten Jahren. Frau E. stellt fest, dass sie erstmals neue Mitarbeiter nicht mehr persönlich kennt. In der Belegschaft haben sich Personengruppen von Gleichgesinnten gebildet und es „menschelt” immer wieder. Mitarbeiter der Anfangszeit stellen erstmals fest, dass die familiäre Aufbruchsstimmung irgendwie verflogen ist. Es beginnt der Dialog über die erlebten Veränderungen und deren Erscheinungsbilder, während die wachstumsbedingten strukturellen und organisatorischen Herausforderungen unverändert sind. Die innerhalb der Teams überwiegend geforderte Lösung für die aktuellen Herausforderungen ist die Einstellung weiterer Mitarbeiter*Innen.

Sowohl das Onboarding als auch die Einarbeitung des neuen Personals wird immer noch sehr situativ und durch persönliche Leidenschaft bestimmt. Es läuft aber nicht mehr so gut wie vor einiger Zeit, da Mitarbeiter*Innen intern gewechselt sind, sich die Aufgabenverteilungen geändert hat und die ersten Personen mit Anfangswissen aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Die Rufe nach einer besseren Führung und mehr Struktur werden jetzt noch lauter. Es häufen sich eskalierende Situationen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Auch für Dritte wird nun erkennbar, dass einige der Führungspositionen mit in Führungsthemen eigentlich zu unerfahrenen Personen besetzt wurden. Auch unser Gründerteam um Frau E. hat in diesem Bereich bisher wenig Zeit zur individuellen Weiterentwicklung investiert. Einige stellen fest, dass sie eigentlich keinen Spaß an der Lösung von auftretenden Eskalationen dieser Art haben und sich bevorzugt den handfesten Herausforderungen im Geschäft bzw. beim Kunden widmen.

Trotz aller aufkommenden internen Reibungsverluste steigt der Umsatz weiter an. Daraus erwächst in der Unternehmensführung im Moment die Überzeugung, dass die aktuell auftretenden anstrengenden Erscheinungen bestimmt die üblichen Wachstumsschmerzen von erfolgreichen Unternehmen sind. Damit ist auch klar, dass die aktuelle Situation nun mit mindestens der bisher gelebten Tatkraft zu bewältigen ist. Einige Personen im Managementteam überkommt sogar der Übermut und interne Beobachter äußern erstmals den Eindruck, dass das Management teilweise die Bodenhaftung verliert.

Im Finanzwesen wurden zwischenzeitlich zwar zwei neue Buchhalter*Innen eingestellt, ohne jedoch das Controlling aufzubauen. Damit existiert auch kein funktionierendes oder ernstgenommenes Frühwarn- bzw. Risikomanagement. Bestimmte Zusammenhänge hinsichtlich Ursache-Wirkung haben damit kaum eine Chance, in das Bewusstsein der Unternehmensführung einzudringen.

Erste Kundenaufträge fallen aus, was aber insgesamt nicht zu einem Umsatzrückgang führt. Auch die steigende Fehlerquote mit immer häufigeren direkten Auswirkungen beim Kunden wirkt noch nicht ausreichend alarmierend.

In der gleichen Zeit freut sich das Management über die großartigen Umsatzsteigerungen und das positive Betriebsergebnis. Über die Entwicklung der Rendite- und Performancekennzahlen wird wenig bis gar nicht gesprochen, da es immer noch kein aussagefähiges KPI-Reporting gibt. Aus dem Umstand, dass der Umsatz unentwegt steigt, zieht das Gründerteam einen fatalen Rückschluss: Das Unternehmen kommt gut am Markt an, sonst würden die Kundenaufträge ja nicht zunehmen.

Mit dieser Einschätzung versucht das Management sich weiter in geübtem Aktionismus. Einzelbrände werden beherzt gelöscht, wachsendes Arbeitsaufkommen wird weiter durch zusätzliches Personal kompensiert. Tiefgreifende und mit größeren Investitionen verbundene strukturelle und organisatorische Maßnahmen bleiben entweder aus oder werden auf ein unangemessen geringes Maß reduziert.

Wachstumsschaden

Nachdem der Umsatz über die gesamte Zeit stetig gestiegen ist, hat längst die Stagnation der Rendite begonnen. In Teilbereichen nehmen die Verlustgeschäfte zu. Gegenüber den Kunden sind die Zuverlässigkeit und die Qualität auf dem Abschwung und die Kundenzufriedenheit ist bei Umfragen erstmals gesunken. Durch den anhaltenden Boom auf der Umsatzseite ist nach wie vor Liquidität vorhanden und die Unternehmensführung schwankt zwischen den störungsbedingten Ad-hoc Maßnahmen und der gewollten Erfolgsgeschichte.

Von hier an hängt der Ausgang unseres Beispiels sehrt stark vom Bewusstsein und der Fähigkeit zur Veränderung innerhalb der Unternehmensführung ab. Verliert Frau E. und ihr Führungsteam den Kontakt zur Realität und den relevanten Stakeholdern zeigen alle Zeichen auf einen Problemfall.

Nach dem Verlauf der oben beschriebenen Entwicklung stellt sich die Frage, ob Frau E. und ihre Belegschaft die Kraft und die Fähigkeiten haben, notwendige und schmerzhafte Veränderungs- und Strukturierungsmaßnahmen in Gang zu setzen. Ebenfalls offen ist die Frage nach der Finanzierung dieser Maßnahmen und nach der geeigneten Story gegenüber Investoren, Kunden und Gläubigern. Gelingen diese Maßnahmen nicht, so stehen alle Zeichen auf die finale Phase im hier beschriebenen Wachstumsmodell.

Wachstumscrash

Im vorliegenden Beispiel hat es Frau E. versäumt, den sehr hohen innerbetrieblichen Druck für notwendige Umbaumaßnahmen zu nutzen. In den letzten Monaten hat sie sich zudem mit einigen Personen im Führungsteam überworfen. Ihre Entschlossenheit und ihre Freude am Aufbau des Unternehmens sind beeinträchtigt. In einigen Bereichen haben Unsicherheit und Orientierungslosigkeit zugenommen. Um den Unternehmenserfolg nicht zu gefährden haben sich die Gesellschafter dazu entschlossen, einen geeigneten Investor für das Unternehmen zu finden.

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In jeder der vorstehend beschriebenen Wachstumsphasen gibt es unterschiedliche Instrumente und Maßnahmen, um die einzelnen Entwicklungsabschnitte unbeschadet und erfolgreich zu bewältigen. Wichtigste Grundvoraussetzungen sind aus unserer Sicht das Bewusstsein für die typischen oder zu erwartenden Effekte und Situationen sowie die Akzeptanz, dass sich Wachstumsschäden ohne pro-aktive Maßnahmen nicht oder nur schwer vermeiden lassen. Erst danach kommt die Fähigkeit der handelnden Personen und des Unternehmens als weitere Voraussetzung hinzu.

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